Aufstellungsarbeit

Stellung-nehmen

Ich möchte mich vorerst an dieser Stelle von Bert Hellinger distanzieren. Seine jüngsten Aussagen (2003/2004) zeugen für mich von eindeutigem nationalsozialistischem Gedankengut. Ausserdem bewohnt er Räumlichkeiten, die früher Adolf Hitler in Besitz hatte.

„Schade, Bert, du hättest anders in die Geschichte der Familientherapie (die du nicht gegründet hast) eingehen können“
R.Koch August 2004

Zusammenfassung

Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über ber die Entwicklung der Technik des Familienstellens und der Familienskulptur (Sculpting). Es wird beschrieben, wie Familienaufstellungen als eine von vielen Methoden, in die systemische Therapie integriert werden können. „Stellungnehmen“ bezieht sich auf eine besondere Form der therapeutischen Intervention. Der/die TherapeutIn begibt sich als RollenspielerIn (RepräsentantIn) in das zuvor durch KlientInnen konstruierte Beziehungssystem, um so Interventionen zu setzen. KlientInnen selbst wechseln ebenfalls die Positionen, können so Gefühle – aus ihrer eigenen Erlebensweise – der anderen Systemmitglieder beschreiben und/oder andere Sichtweisen einnehmen. Durch die Anwendung dieser Methode, eingebettet in systemisch-lösungsorientierte Therapie kann es zu überraschenden positiven Wendungen und Lösungen kommen.

Schlüsselwörter

Entwicklung und Techniken der Familienaufstellung. Systemischer Therapie und Aufstellungsarbeit. Therapeutische Intervention aus der Position eines Rollenspielers (Repräsentanten).

Summary

Posturing and positioning:
This article provides an overview about the development of one of the many methods of systemic therapy – the technique of family posturing and family sculpturing. It explains how family sculpturing can be integrated into the process of systemic therapy. Positioning refers to a special type of systemic intervention, in which the therapist takes the role of the client or his significant other in a relationship previously described by the client. Clients themselves interchange positions to describe and understand the feelings and perspectives of others. Utilizing this technique within a systemic solution focussed therapy can lead to surprising positive shifts and solutions.

Keywords

Development and methods of family posturing. Integration of posturing-systems in systemic therapy. Making interventions in a role and not only as a therapist.

Im ersten Abschnitt werde ich einen Überblick über die Entwicklung der Aufstellungsarbeit (Sculpting, Familienbrett etc.) bieten. Die Informationen darüber habe ich im wesentlichen dem Artikel Billie Rauscher-Gföhler in Systemische Familientherapie (Facultas 1998, S 197-199) entnommen. Anschließend nehme ich – zum besseren Verständnis meines persönlichen Zuganges zum Thema – auf die Arbeit Varga von Kibeds und Insa Sparrers bezug (VIDEO – The World of Psychotherapy, 1st Congress of the World Council for Psychotherapy WCP, Austria Center Vienna 1.July – 4.July 1996).

Der zweite Abschnitt beschreibt meine praktische Arbeit mit dieser Methode – wie integriere ich „Abgeschautes“ und „Selbst-Erfundenes“ sinnvoll? Ich benutze den Begriff „Systemaufstellungen“ (Familiensystem, Problem- bzw. Lösungssystem etc.), da sich für mich das Wort Familienaufstellung zu sehr auf Familie bezieht und der Begriff Aufstellungsarbeit allein, mir – in Hinsicht auf die vielen Varianten – zu oberflächlich ist. Möglichkeiten des Methodeneinsatzes in der Einzel- und Paartherapie – auch wenn nicht ausreichend RollenspielerInnen zur Verfügung stehen – werden aufgezeigt.
Ich verwende infolge die Weiblichkeitsform – Therapeutin/Klientin.

Erster Abschnitt – Entwicklung

Der Weg der Familienaufstellung und öskulptur in der systemischen Therapie:

Die Familienskulptur als Technik der Familientherapie fand seit ihrer Entwicklung durch David Kantor, Fred Duhl und Bonny Duhl (1973) rege Verbreitung. Besonders Virgina Satir (1972) und Peggy Papp (Papp, 1973, 1976) präsentierten und beschrieben deren Anwendung. Mit ihren Aufstellungen im „Hier und Jetzt“ und ihrem „offen Dialog“ über Wünsche und Bedürfnisse gab Satir dem affektiven Erleben Raum (Systemische Familientherapie, B.Rauscher-Gföhler, 1998, S 197).

Jochen Schweitzer und Gunthard Weber (1982) betonen die Möglichkeit, mit der Technik der Skulptur Komplexität (und auch deren Reduktion – Anm. des Verf.) von Familiensystemen darzustellen. Da Systeme Prozesse bergen, die ihre Bedeutung erst im Kontext der anderen, gleichzeitig ablaufenden Prozesse erhalten, kann man, anstatt Prozesse nacheinander zu beschreiben, sie räumlich in einer Skulptur, in ihrer Gleichzeitigkeit und Kreisförmigkeit einfangen. Diese Grundidee wird von Peggy Penn (1983) als „Familienchoreografie“ bezeichnet. (B.Rauscher-Gföhler, 1998, S 197).

Aufstellungen sind eine erlebensintensive Methode, sprachlicher Ausdruck der KlientInnen (die digitale Sprache) rückt in den Hintergrund (Worte sind auch nur Abstraktionen – Anm.des Verf.). Abwehrphänomene wie Rationalisierungen oder Intellektualisierungen werden unterlaufen und man kann schnell zu den wesentlichen Themen der KlientInnen kommen. Andolfi prägte in diesem Zusammenhang den Ausdruck „nichtverbale Aktionstechnik“(1982). Die Anwendungsmöglichkeit der Familienskulptur ist unabhängig von der sozialen Zugehörigkeit und damit verbundener möglicher Ausdrucksschwäche, dem Alter von KlientInnen und deren Problematik (B.Rauscher-Gföhler, 1998).

Familienskulpturen und -aufstellungen wurden ursprünglich im Psychodrama (Moreno – Idee des sozialen Atoms) entwickelt. Auch in der Gestalttherapie nach Perls kennen wir z.b. Stühle als Repräsentanten (Systemische Familientherapie, B.Rauscher-Gföhler, 1998 und VIDEO – The World of Psychotherapy, Varga von Kibed, Insa Sparrer 1996).

Bei der Familienskulptur erfolgt die Darstellung von Beziehungen – in einem zuvor definierten Beziehungsrahmen – u.a. durch Nähe und Distanz der Positionen und auch durch die Haltungen der Rollenspielerinnen, Repräsentantinnen. Die Skulptur ist als universale Sprachform als repräsentativ für psychologische Ereignisse und emotionale Transaktionen erkennbar (Minuchin und Fishman 1982, Simon und Stierlin 1999).

Skulptur- und Aufstellungsarbeit ist als systemisch zu begreifen, wenn Therapeutinnen nicht in linearem Denken verharren (und sich nicht auf die Suche nach der Schuld und dem Grund eines Ereignisses machen). So kann Aufstellungsarbeit nutzbringend im Bereich der systemischen Therapie als Methode verwendet werden.

Das Familienbrett

Das Familienbrett wurde 1978 von Kurt Ludewig entworfen und wird in der systemischen Therapie zur Darstellung von Familienstrukturen und Familienbeziehungen verwendet.
Das Familienbrett ist ein 50 x 50 cm großes Holzbrett, auf das im Abstand von 5 cm von Außen ein Rand gezeichnet ist. Die Holzfiguren sind 5-7 cm groß, rund und eckig, haben ein nur angedeutetes Gesicht. Dies soll die Konzentration der Klientinnen auf die Darstellung von Beziehungsmustern, anstatt persönlicher Eigenschaften lenken.

Folgende Merkmale sind bei der Aufstellung bedeutsam:

  • Entfernung zwischen den Figuren
  • Deren Blickrichtung
  • Plazierung auf dem Brett
  • Größe und Form der Figuren
  • Reihenfolge der Aufstellung und
  • Gestalt der Anordnung.

(B.Rauscher-Gföhler, 1998).

Systemische Strukturaufstellungsarbeit wurde in den letzten Jahren von Matthias Varga von Kibed erforscht und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Bei Zitaten von Varga von Kibed und Insa Sparrer beziehe ich mich auf Informationen aus den Video-Aufzeichnungen vom ersten Weltkongress für Psychotherapie in Wien.

Insa Sparrer sagt – „es ist das Ganze da und unsere Sichtweise nimmt stets etwas heraus.

In diesem Sinn nehmen wir aus dem Ganzen, welches wir schwer erfassen können, etwas heraus (Komplexitätsreduktion), das wir und unsere Klienten leichter erfassen können und betrachteten dieses Teil von allen Seiten.“(VIDEO – The World of Psychotherapy,96).

Varga von Kibed und Sparrer beschreiben u.a. zwei Techniken (Möglichkeiten von Aufstellungen), die Entscheidungshilfen bieten können (ich selbst bezeichne sie für mich als „Lösungsaufstellungen“) –

Die Tetralemmaaufstellung

Geeignet u.a. für Anliegen, wo eine Entweder-Oder-Entscheidung thematisiert wird.

Positionen:

  • Fokus – Repräsentant
  • das Eine
  • das Andere
  • Beides
  • keines von Beiden
  • auch dies nicht, und auch das nicht – Freigeist.

und die Problemaufstellung:

  • Fokus – Problemträger
  • Ziel
  • Hindernisse
  • Ressourcen
  • verdeckter Gewinn
  • zukünftige Aufgabe

„Ziel ist das assoziiert erlebte Problemerleben dissoziiert externalisiert wahrzunehmen (im Ausgangsbild) und das vorher dissoziierte Lösungsbild (die Ideen, wie Ressourcen aussehen) im Schlussbild assoziiert zu erleben – indem der Klient zum Schluß in das Bild selbst reingeht“ (Matthias Varga von Kibed, 1996).

Zweiter Abschnitt – Anwendung und Entwicklung

Zur Begriffsklärung möchte ich noch Systemdefinitionen die Steve de Shazer in „Das Spiel mit den Unterschieden“ C.Auer 1994, anführt, zitieren. Die folgenden – möglichen Betrachtungsweisen des Wortes „System“ – sind meiner Meinung nach für Systemaufstellungen und deren therapeutischer Verwendungsmöglichkeit wesentlich. Wobei ich davon ausgehe, dass das was (z.B. als System) beschrieben wird – vom Beschreibenden (Klientin) – als zusammengehörig identifiziert – und von mir (einfachheitshalber) „System“ genannt wird.

„In allgemeinster Definition ist ein – System – eine aus irgendwelchen Elementen (materieller oder geistiger Art) geordnet zusammengesetzte Ganzheit… Sowohl die allgemeine Systemtheorie als auch die Kybernetik beschäftigen sich mit den Funktionen und strukturellen Gesetzmäßigkeiten, die für alle Systeme – unabhängig von ihrer materiellen Beschaffenheit – gelten. Allen systemtheoretischen Überlegungen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ein System in seiner Ganzheit sich qualitativ neu und anders verhält als die Summe seiner isoliert betrachteten Einzelelemente“ (Steve de Shazer, 1994, S 37, Simon et al. 1984, S 355)
Eine weitere Definition von System – aus dem Bereich Soziologie und Philosophie –

„Ein System unterscheidet sich von seinen Teilen durch seine Organisation… Das Verhalten des Ganzen ist komplexer als die „Summe“ des „Verhaltens“ seiner Teile. Da jedoch die Organisation des Ganzen Beschränkungen auf das „Verhalten“ der Teile auferlegt, müssen wir auch erkennen, dass die semiotische (Beziehung der „Systemteile“, Personen, Gefühle… untereinander – Interpretation des Verfassers) Freiheit jedes Subsystems in sich selbst größer ist als ihre semiotische Freiheit als Teil des Ganzen, und sie kann in der Tat größer sein als die des Ganzen“ (Steve de Shazer, S 39 – Anthony Wilden 1980 – S 202-203).
Eine neue Möglichkeit – die Therapeutin interveniert aus dem System
(sie nimmt, oder bezieht „Stellung“)

Meiner Erfahrung nach führt Aufstellungsarbeit oftmals zu überraschenden Erfolgen und Wendungen. Zum einen arbeite ich mit dieser Methode, um mir (und den KlientInnen) über Problem- bzw. Lösungsbilder (wer und was gehört dazu – aus meiner Sicht, aus Sicht der Klientinnen) ein genaue Übersicht zu verschaffen, Entscheidungshilfen zu geben (z.B.Tetralemmaaufstellung). Generell wird zwischen „Stellungs-, Prozess-, Informationsarbeit und Tests“ unterschieden (Sparrer, Varga von Kibed, 1996). Hypothesen können überprüft werden, man kann einen Überblick gewinnen – wer gehört zum System (bei wem entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit), wer nicht. Hat es Bedeutung, wenn z.B. ein Kind den Stiefvater nicht aufs Familienbrett stellt, hat es Bedeutung, wenn eine Frau ihre Mutter nicht in die Aufstellung mit einbezieht?

Zum anderen verwende ich diese Methode, um Interventionen aus dem aufgestellten System heraus (als Rollenspielerin bzw. Repräsentantin) zu geben. Wenn Klientinnen – das Verhalten, das Gesagte – der Therapeutin, in der jeweiligen Rolle ( z.B. des Vaters), auch passend finden, kann die Intervention der Therapeutin neue Be“deutung“smöglichkeiten – auch auf einer nonverbalen Ebene – schaffen. Hier kann die Autorität der Therapeutin und die Erwartungshaltung der Klientinnen genutzt werden dies zu „ankern“.
Hypothesen, die sich auf die Lösung des Problems beziehen und von denen angenommen wird, dass sie hilfreich sind, können – ähnlich wie hypnotherapeutische Interventionen – wirken. Umdeutungen entlasten und erzeugen neue Sichtweisen.

Durch die Auswahl des Bezugsrahmens („…vielleicht wäre es hilfreich, uns anzusehen, wer oder was zur Lösung dieses Problems beitragen könnte“) und der Definition des „Systems“, das aufgestellt wird (durch die Klientinnen), werden bei Aufstellungen Wörter, Sätze, Äußerungen, Bewegungen, Haltungen usw., für die Klientinnen – vor allem in diesem besonderen Kontext – bedeutsam: „Zu jeder gegebenen Zeit, an jedem gegeben Ort gibt es eine Vielzahl von Bedingungen – soziale, historische, physiologische und andere -, die dazu führen, dass einem Wort (und auch Handlungen), das an diesem Ort, zu dieser Zeit geäußert wird, eine bestimmte Bedeutung zukommt, die verschieden ist von der, die dem selben Wort (der selben Handlung) in einem anderen Kontext zukommt.

So würde man den Theaterbesucher für verrückt erklären, der in dem Augenblick, wo Othello Desdemona erwürgt, nach der Polizei ruft, obwohl dies in einem anderen Kontext eine sinnvolle Reaktion wäre“ (W. Rotthaus, 1999, S 159)

Die Auswahl, wer – bei einer Aufstellung oder auf dem Familienbrett – einen Platz bekommt und welchen Lebensabschnitt die Aufstellung betrifft, bestimmt (und begrenzt aber auch – nicht alle Sichtweisen können dargestellt werden) den „Lösungs- bzw. Veränderungsrahmen“. Es können Hinweise auf die inneren Landkarten (Sichtweisen) und Erklärungsmuster – wer oder was ist Schuld an meinem Problem – der Klientinnen (auch in ihren verschiedenen Lebens- und Entwicklungsphasen) entdeckt und so weitere therapeutische Arbeit „angepasst“ werden.

Furman schreibt – „…jede Therapieform kann als Austausch von Kausalattributionen über problematisches Verhalten verstanden werden, der zwischen mindestens zwei Personen stattfindet. Problemverhalten zwingt Menschen dazu, über die Gründe dieses Verhaltens nachzudenken und ist mit Kausalattributionen zu erklären“ (B. Furman, S 52).

Nachdem ich, zumeist in einigen vorangegangenen Therapiesitzungen, den jeweiligen Lebensbereich, Ziel und Wünsche der Klientinnen erfragt habe, tauchen bei Systemaufstellungen bei den Klientinnen keine überraschend neuen Gedanken auf, wohl aber neue Gefühle, sowohl in der eigenen, aber auch beim Wechsel in andere Positionen.

Da ich in der Praxis selten Rollenspieler zur Hand habe, benutze ich Schablonen (farblich unterschiedliche Fußstapfen aus Pappe) oder Hüttenpatschen, um nicht anwesenden Personen einen Platz zu geben.
Praktische Anwendung in der Einzel- und Paartherapie

Ich frage die Klientinnen, ob es für die heutige Stunde passen würde, dass wir mit Pappschablonen ihr Familiensystem – mögliche Problem- oder Lösungskonstellationen – auflegen und uns auf die aufgelegten Positionen, die wir in Form von Fußstapfen sehen, stellen. Nach Beendigung der Arbeit mit dieser Technik, würde ich die Stunde ohne ausführliches Reflektieren, bzw. Besprechen des Abgelaufenen, beenden. Gelegenheit darüber zu reden werde es in den Folgestunden geben. Wenn etwas sehr Belastendes auftauche, sei dafür sofort Zeit. Der erste Schritt ist, Klientinnen z.b. wie folgt zu instruieren – “ Stellen sie sich vor, alle Personen in ihrer Familie die für sie aus irgendeinem Grund wichtig sind, kommen in dieses Praxiszimmer, sie mit eingeschlossen, wo würden diese Personen stehen, wen würden sie ansehen usw..“ Die Klientinnen (die ein Anliegen für die Stunde formulierten und sich bereit erklärten, diese Aufstellung zu machen) werden zu Konstrukteurinnen und Beobachterinnen ihres Bezugssystems, indem sie z.b. wählen wer dazu gehört, auf einen Stuhl steigen, damit eine „Metaebene“ einnehmen usw.

Durch diese Komplexitätsreduktion sind Therapeutinnen und Klientinnen in der Lage, Familienkonstellationen, Systeme, „innere Personen“ usw. leichter zu betrachten, zu erfassen und zu verändern.

Bei der Arbeit mit Schablonen kann die Therapeutin den Platz eines Familienmitgliedes, eines Symptoms, eines Zieles etc. einnehmen. Die Position wird dann auch anders gesehen, die Schablone ist flach, einer Person auf dieser Schablone wird eine andere Bedeutung zugeschrieben. Klientinnen können Positionen wechseln und beschreiben, wie es ihnen im Moment auf dieser Position geht. Ein behutsames Umgehen (sowie das Belassen der Klientinnen in der Beobachterrolle) ist von Vorteil. So wird eine allzu starke intrapsychische Verstrickung vermieden. Therapeutinnen können- je nach ihrer Arbeitshypothese – diesen Part übernehmen und als Repräsentantinnen die „außenstehende“ Klientin über Gefühle und Ideen in dieser Position informieren(diese sollten eher positiv formuliert werden). Klientinnen sind Beobachterinnen des Prozesses.

In der Paartherapie kann z.B. die Therapeutin in der Rolle des Partners der Frau – welche wiederum auf ihrer eigenen Position steht – eine Intervention oder Frage an sie richten. Auch mutige und heikle Fragen, die sich der Mann als Beobachter nicht stellen getraute ( und es ist ja dann auch nicht der Mann der so „mutig, naiv, blöd“ fragt…).

Klientinnen, die verschiedene Positionen auf den Pappschablonen einnehmen, hören Fragen wie: “ welches Gefühl stellt sich bei ihnen auf dieser Position ein, wie sehen sie die anderen, die anderen sie, wollen sie hier noch verweilen, eine andere Position einnehmen bzw. den Aufstellungsrahmen verlassen – und ich stelle mich in ihre Fußstapfen und sie sagen mir, wie sie sich nun sehen? – usw..

Die Rolle der „neutralen, beobachtenden, außenstehenden, teils passiven Therapeutin“ wird bei dieser Technik für eine begrenzte Zeit aufgegeben und die Therapeutin begibt sich, auch räumlich, in das aufgestellte System der Klientin. In einen Bezugsrahmen, der auf Vorschlag (und damit lenkendes Eingreifen) der Therapeutin und Anordnung und Auswahl der Klientinnen zustande kam – Familienaufstellung, Lösungsaufstellung. Hier wird auch das Verlassen der neutralen Position klarer deklariert wie vielleicht bei sonst bei systemischen Therapien. Es ist eine zeitweise Verabschiedung von sprachlicher und gefühlsmäßiger Neutralität.

Die Position aus der interveniert wird, bestimmt der Therapeut, aufgrund seiner Idee, welcher Weg zum Lösungsbild führen könnte. Es erfolgt z.B. eine Intervention aus der Position des Vaters, wenn sich hier für die Therapeutin ein „Repräsentantengefühl“ (Varga von Kibed, 1996) einstellt. Therapeutinnen werden durch dieses Gefühl zweifellos gelenkt und beeinflusst, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass diese – auf inneren Gefühlen basierenden -Interventionen oftmals sehr hilfreich sind. Klientinnen, aber auch die Therpeutin, stellen während der Prozessarbeit die Positionen immer wieder neu, um so Lösungsideen zu finden.

Manchmal hat man bei dieser Anwendung von Systemaufstellung das Gefühl, sich auf einer Schaukel zu befinden. Ein Kippen von den sog.“Repräsentantengefühlen“ (Gefühle die einem Systemmitglied zugeschrieben werden können, vielleicht aber auch die Therapeutin von sich kennt) in die „therapeutische Identität und Haltung“ und vice versa bleibt nicht aus. Es besteht auch die Gefahr des Verlustes therapeutischer Identität. Daher ist es ratsam, diese Methode sparsam und behutsam zu verwenden.
Klientinnen ist es nach der Aufstellungsarbeit manchmal nicht leicht möglich, sich sofort zu „entrollen“. Die Therapeutin wird vielleicht noch eine Zeitlang in der Rolle des Vaters gesehen.

Eine Nachbesprechung der Auswirkungen der Aufstellungsarbeit auf die Klientinnen in den folgenden Therapieeinheiten ist notwendig öVeränderungen, neue Sichtweisen, Ausnahmen etc.
Die behutsame Anwendung dieser Technik, als Teil von und eingebettet in systemische Therapie, bringt schlimmstenfalls keine dauerhafte positive Veränderung. Geschieht das öfter, drängt sich die Frage auf, ob Aufstellungsarbeit nicht eher für die Therapeuten hilfreich ist. Vermittelt sie doch manchem Therapeuten das Gefühl, das durch „Psycholenkung“ rasch viel machbar ist und er selbst eine spannend emotionale Sitzung erleben kann.

Ein Fallbeispiel:

Eine Klientin legt – im Rahmen einer Einzeltherapie – ihr Gegenwartssystem in Form von Fußschablonen im Praxiszimmer (Partner, 2 Söhne, Eltern, Großmutter, Schwiegereltern, Geschwister). Große Bedeutung kommt der Meinung ihrer Mutter zu. Diese starb als die Klientin 16 Jahre alt war. Die Klientin hadert im Laufe der Therapie immer wieder mit der fehlenden Anerkennung durch ihre Mutter und gibt ihr Schuld (Kausalattribution) „dass in meinem Leben so gut wie alles schief läuft“. In der Kindheit hat sie wenig Anerkennung bekommen, nur Leistung wurde honoriert („mein Pflichtbereich war Schule“). Auch jetzt ist sie sehr leistungsorientiert und beruflich erfolgreich, kann dies jedoch nicht positiv für sich werten. Sie ist verzweifelt und dadurch in vielen Bereichen des täglichen Lebens eingeschränkt. In fünf Therapiestunden wird u.a. an ihren Ressourcen aus Kindheit und Jugendalter gearbeitet. Der Therapeutin wurde u.a. klar, dass die Klientin eine „Weltbildkonstruktion“ in dem Sinne hat – die verstorbene Mutter wurde auch in den Raum geholt – dass „Verstorbene“ Einfluß haben, beobachten können. Die Therapeutin überlegte – welches Versöhnungsritual hier hilfreich sein könnte – und entschließt sich in der sechsten Stunde zur Systemaufstellung.
Die Klientin legt verschiedene Systeme ihres derzeitigen und vergangenen Lebens auf. Fragen nach ihren Stärken werden gestellt – “ was glauben sie, würde ihr Vater, ihre Mutter, ihre Schwiegereltern meinen, was sie in diesem Lebensabschnitt, der hier vor ihnen aufgelegt ist – gut bewältigt haben? Wer oder was hat ihnen dabei geholfen?“ Ein Muster – mit dem Schicksal hadern, fehlendes Lob und Anerkennung – in mehren Lebenskontexten wird erkannt.
Nach dem Auflegen der Familienkonstellation, zum Zeitpunkt als sie Kind war, wird der Therapeutin und der Klientin spürbar, dass sie viel Positives mitbekam. Am Ende der Stunde begibt sich die Therapeutin – im aktuellen Familiensystem – in die Position der verstorbenen Mutter und teilt der Klientin (diese steht vor ihr, auf ihrer eigenen Schablone) die Anerkennung für deren Leistung – Familie, Kinder, Beruf – mit. Sie sagt ihr, dass es ihr in der Rolle der Mutter leid tue, ihr nicht zu Lebzeiten diese Anerkennung und mehr Nähe gegeben zu haben. Die Großmutter habe es bei ihr auch nicht geschafft und sie fände es toll, dass ihre Tochter (die Klientin) jetzt diese Familientradition bei ihren Söhnen durchbrechen kann. Sie, die Mutter, denke jeden Tag an die Tochter und sei stolz auf sie. Sie würde ihrer Tochter wünschen, dass sie das Erreichte auch positiv sehen kann und ihr Glück selbst in die Hand nimmt. Beide umarmen sich spontan.
Während der Stunde werden die Schablonen von der Klientin und der Therapeutin immer wieder in andere Positionen gebracht, es wird rückgefragt, in welcher Position das Gefühl – z.B. in bezug auf Nähe/Distanz – (und warum) besser passt, bis man zum Schlussbild kommt, welches die Klientin dann auch nicht mehr verändert.
Die Sitzung wird wie ohne detaillierte Nachbesprechung beendet, aber es wird gefragt: „Passt es für sie oder ist etwas, worüber wir vor dem Weggehen noch sprechen müssen?“
Die Therapie dauerte noch drei weitere Stunden und wurde dann auf Wunsch der Klientin – das Problem sei behoben – beendet.

Würde ich die bunten Fußstapfen meines „Berufs- und Berater-Systems“ vor mit aufgelegt sehen, würde in mir – zwingend – das Gefühl aufsteigen, mich bei meinen Kolleginnen Hedi Wagner und Sabine Klar für viele Ideen, konstruktive Kritik und Ermutigung für diesen Artikel zu bedanken.

Literatur

  • Das Spiel mit den Unterschieden
    Steve de Shazer
    Carl Auer Verlag 1994
  • Die Kunst, Nackten in die Tasche zu greifen
    Ben Furman, Tapani Ahola Borgmann 1996
  • Systemische Therapie: Vom Problem zur Lösung
    Die Sprache der Familientherapie
    Simon und Stierlin
    Klett-Cotta 1984
  • System and structure
    Antony Wilden
    London 1980 (Tavistock)
  • Systemische Familientherapie
    A.Brandl-Nebehay, B.Rauscher-Gföhler, J.Kleibel-Arbeithuber (HG.)
    Facultas 1998
  • The world of Psychotherapy
    VIDEO – The World of Psychotherapy,
    1st Congress of the World Council for Psychotherapy WCP
    Austria Center Vienna 1.July – 4.July 1996
  • Insa Sparrer, Matthias Varga von Kibed
    Theorie und Praxis der systemischen Strukturaufstellungen
    Band 1 und Band 2, 1996
  • Wozu Erziehen?
    Wilhelm Rotthaus
    Carl Auer-Systeme Verlag 1999

 

Kommentare sind geschlossen.